Mit Hoffnung und Mut die Zukunft anpacken

Nach 20 Jahren Abstinenz erstmals auf der Bühne

01.06.2024

Er setzt die Sucht in Szene

Cristian Rosatti ist eine Frohnatur. Seit über 20 Jahren konsumiert er keinen Alkohol und keine anderen Drogen mehr. Auf der Theaterbühne hat er einen neuen Platz gefunden. Hier erzählt er von seiner Suchterkrankung und den Brüchen in seinem Leben. Er steht hin und macht anderen Suchtbetroffenen Mut und Hoffnung.

20 Jahre ohne Alkohol und andere Drogen. Das wollte Cristian Rosatti (48) feiern – aber nicht mit Alkohol, sondern mit einem Theaterstück, bei dem er allein auf der Bühne steht und die Hauptrolle spielt. Ohne Wertung und schonungslos erzählt er aus seinem Leben. Der alkoholkranke und ge­walttätige Vater kommt ebenso vor wie die hilflose Mutter, seine Entwurzelung, die Wut und Ängste, seine Süchte.

Am 4. November des letzten Jahres fand in Anwe­senheit von Nahestehenden die erste Vorstellung in Lausanne statt. Weitere sollen folgen (siehe Kasten). Für seine Resilienz, seinen Mut und das schauspielerische Talent bekam er viele Kompli­mente.

Reden hilft

Er machte schon früh die Erfahrung, dass die Scham verschwindet, wenn er mit anderen über seine Probleme spricht. Das hilft ihm jetzt wieder auf der Bühne. Indem er seine Geschichte erzählt, lernt er sich wieder neu kennen und verarbeitet das Vergangene. «Ich will anderen Menschen Hoffnung und Zuversicht vermitteln, dass sie den Weg aus der Sucht auch schaffen können», erklärt Cristi­an Rosatti. Immer wieder fügt er im Gespräch auf seine temperamentvolle Weise eine Episode aus seinem Leben an. Dass er diesen Enthusiasmus auf der Bühne weitergeben kann, glaubt man ihm sofort. Auch ein gewisser Stolz über die langen Jahre der Abstinenz und seine Disziplin schwingt mit. Zu Recht.

Kein leichter Start ins Leben

Der gebürtige Italiener Cristian Rosatti wuchs mit seinen Eltern und einem Bruder in der Roman­die auf. Ich werde nie so enden wie er, dachte er als Kind. Er meinte seinen Vater, dessen Alkohol­krankheit dem Familienleben den Takt vorgab. Geborgenheit und Wohlwollen seitens des Vaters kannte er nicht, umso mehr die Gewaltausbrüche. Mit 13 Jahren probierte er sein erstes Bier. Bald folgten die ersten Zigaretten. Er tat dies, um dazu zu gehören – zur Welt der Erwachsenen. «Später wurde mir klar, dass ich mich dadurch meinem Va­ter annähern und ihm zeigen wollte, dass ich mit ihm leide. Im Grunde wollte ich ihm helfen».

Mit dem Rausch kämpfte Cristian Rosatti auch gegen seine innere Unruhe an. In der Ausbildung zum Kundenbegleiter im Zug war der Alkohol fast allgegenwärtig. Schon in der 9 Uhr-Pause trank er mit seinem Lehrmeister in einem Bahnhof Wein.

Der Konsum nahm immer mehr Raum ein. Es gab eine Zeit in Cristian Rosattis jungem Leben, als er täglich zu Alkohol, Marihuana und Kokain griff. Dann die Flucht. Mit 27 Jahren lässt er alles hinter sich und verreist für unbestimmte Zeit nach Süd­amerika. Doch die Sucht nimmt er mit.

Der Rucksack ist ein Stück Zuhause

In Costa Rica angekommen, beschliesst er mit Hilfe von ehemals Alkoholkranken und Drogenab­hängigen, sein Leben zu ändern – nicht ohne sich vorher seine Suchtprobleme einzugestehen und sie zu akzeptieren. «Ich dachte, wenn andere ohne Drogen auskommen, kann ich es auch schaffen», erinnert er sich, wobei ihn dabei noch heute die Emotionen einholen.

Nach Monaten des eher zufälligen Reisens kehrte er in die Schweiz zurück und fand bei seinem frü­heren Arbeitgeber eine Beschäftigung als
Zugbe­gleiter. Später hatte er weitere Funktionen inne: als Erwachsenenbildner, Bahnhofsvorsteher und Ex­perte bei den eidgenössischen Prüfungen für Aus­zubildende im kaufmännischen Bereich der Bahn. Seit gut zwei Jahren ist er selbständiger Coach und begleitet Menschen, die mit psychischen Pro­blemen und Brüchen im Leben zu kämpfen haben.

Den alten Rucksack voller aufgenähter Zeichen und Flaggen von südamerikanischen Ländern trägt er auch heute stets mit sich, selbst auf der Bühne.

Hilfe beanspruchen

«Ich empfehle Betroffenen, Hilfe zu beanspruchen, sei es bei therapeutischen Fachpersonen oder einer Selbsthilfegruppe», betont Cristian Rosatti. Als er vor 20 Jahren in Costa Rica anderen zuhör­te, wusste er, dass auch er es schaffen würde, 24 Stunden lang nichts zu konsumieren. Aus diesem Tag wurden über 20 Jahre.

Cristian Rosatti will anderen Betroffenen Hoffnung auf ein Leben frei von Sucht schenken und trägt diese Hoffnung auch gleich im Namen: Rosatti als Kurzform für das italienische «Rosa a ti» (Rosen für dich). Im folgenden Beitrag finden Sie die Hin­tergründe zur Rose «Hoffnung», die vor über 30 Jahren eigens für Menschen mit Suchterkrankung gezüchtet wurde.

«Die Konsumanreize sind immer da und der gesellschaftliche Konsumdruck ist gross.» Cristian Rosatti

«Ich habe keine Probleme»

Das Stück von und mit Cristian Rosatti in französischer Sprache trägt den Titel «J’ai pas de problème!» (Ich habe keine Probleme).

Die nächsten Vorstellungen:

5. / 6. Oktober 2024 im Théâtre La Fabrik in Vevey
12. / 13. / 14. Dezember 2024 im Café-Théâtre La Voirie in Pully.

Cristian Rosatti: www.hypno-artem.com; 078 647 17 07

Für die Regie zeichnet die erfahrene Theaterfrau Myriam Demierre und für die Technik Vincent Raboud verantwortlich.

Produktion: www.ciedesairs.ch

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