Im Leben wieder Wurzeln schlagen

Auf zwei Rädern in die Zukunft

17.11.2025

Ein stiller Kämpfer will wieder Wurzeln schlagen

Andreas Sommerhalder will wieder klein anfangen und sich ein Standbein als selbständiger Gärtner aufbauen. Er ist gut gerüstet, führte er doch einst ein grösseres Gartenbauunternehmen. Doch sein Leben weist viele Brüche und eine Suchterkrankung auf, mit der er in den letzten Jahren kämpfte.

Andreas Sommerhalder hat im Zuge seiner Suchterkrankung viel verloren: Einen Teil seiner Gesundheit, seine Familie, sein Geschäft, das Vermögen, seinen Führerausweis. Die Arbeit hatte bei ihm lange Zeit den Takt vorgegeben und sie hilft ihm jetzt wieder auf dem Weg in einen selbstbestimmten Alltag. «Sie ist ein wesentlicher Teil im Leben. Aber auf der Gasse fiel sie für mich – und wohl für die meisten – weitgehend weg», stellt er fest. Das ändert sich nun. Schon heute geht er als Gemüsebauer einer regelmässigen Beschäftigung nach. Zum Gespräch erscheint der 57-Jährige pünktlich mit festem Schuhwerk und Jeans, die von der Arbeit im Garten zeugen. Zum Umziehen reichte die Zeit nicht.

«Ich möchte wieder klein anfangen und mir ein Standbein als selbständiger Landschaftsgärtner aufbauen, am liebsten mit anderen Leuten», erklärt er. Pflanzen so zusammenzustellen, dass sie Stimmungen kreieren, das ist seine grosse Stärke. Mit einem Beitrag aus dem Hilfsfonds von Sucht Schweiz will er sich ein Elektrovelo mit Anhänger anschaffen. Das wird ihm erlauben, die Gärten von Kunden samt seinem Werkzeug aufzusuchen. Er ist dankbar, eine neue Chance anpacken zu können.

 

Rau und widerstandsfähig

Wäre er eine Pflanze, würde er sich am ehesten als dornige Hauhechel sehen, ein optisch zartes Pflänzchen mit violettroten Blütenblättern sowie stachelig behaartem Wuchs. Die Hauhechel ist widerstandsfähig und wächst auch an trockenen Standorten. Die Begeisterung für die Welt der Pflanzen macht sich bei Andreas Sommerhalder

rasch bemerkbar. Auch der Wille, unter schwierigen Umständen weiterzumachen, scheinen ihn mit der dornigen Hauhechel zu verbinden.

Wenn er spricht, ist seine lange Therapieerfahrung spürbar. Er formuliert überlegt und gebraucht den einen oder anderen Fachbegriff. Viele seiner Aussagen lassen aufhorchen. Diese zum Beispiel: «Heilung ist für mich, mit den eigenen Empfindungen in Kontakt zu stehen oder die richtigen Fragen nach Lösungen zu stellen.»

 

Das Leben trieb ihn oft vom Kurs ab

Wenn Andreas Sommerhalder über sein Leben berichtet, wirkt dies wie eine Fahrt auf der Achterbahn. Auf Höhen folgten Tiefen. Er mag zwar lieber die Metapher zum Segelsport. «Im Leben sind es oft unbewusste Muster, die einem vom Kurs abbringen, auf See ist es die Strömung.» Er segelte gerne und erinnert sich, wie er vor vielen Jahren mit seiner Tochter mit dem Boot unterwegs war. Das Kind vergnügt, während der Wind ihr die Haare ins Gesicht wirbelte. Andreas Sommerhalder ist nachdenklich und seine Augen verraten, dass er seine Tochter sehr vermisst.

«Heilung ist für mich, mit den eigenen Empfindungen in Kontakt zu stehen oder die richtigen Fragen nach Lösungen zu stellen.» Andreas Sommerhalder

Er wollte mit Leistung glänzen

Was er auch unternahm, er tat es meist bis zum Äussersten. Vom Drogenkonsumenten in jungen Jahren arbeitete er sich zum erfolgreichen Unternehmer mit eigenem Gartenbaubetrieb hoch. Er wollte mit Leistung glänzen und tat dies auch – bis alles wieder bachab ging und die Drogen erneut alles in den Hintergrund stellten. Aber das Ganze ist komplizierter, denn auch die Höhen hatten Risse und die Tiefen waren nicht nur schlecht.

Andreas Sommerhalder erlebte die Schliessung des Zürcher Platzspitz im Jahr 1992, als die Behörden das Areal räumten. Schon damals konsumierte er verschiedene Drogen. Während seiner ganzen Jugend habe er zwar nichts konsumiert, sagt er, weder Alkohol noch Zigaretten und schon gar keine illegalen Drogen. Ausgerechnet während gemeinsamer Familienferien, kaum zwanzig Jahre alt, entdeckte er die Wirkung von Alkohol. Ihn plagte eine innere Unruhe. Unter Alkohol schien sie wie verflogen. Tagsüber war ihm schlecht vom Alkohol, aber am Abend suchte er den Rausch wieder. Er probierte dann weitere Subtanzen aus. Das wurde nicht besser, als er von seiner Mutter erfuhr, dass sein biologischer Vater ein anderer war – der beste Freund des Mannes, den er bisher für seinen Vater hielt. «Die Beziehungsproblematik, die damals zu meiner Zeugung führte, hielt er schlussendlich mir vor», sagt Andreas Sommerhalder über seinen kürzlich verstorbenen Vater.

 

Neustart als junger Mann

Damals, als junger Erwachsener überlebte er den Drogenkonsum nur knapp und motivierte sich schliesslich, einer therapeutischen Gemeinschaft beizutreten. Rückblickend war es eine schöne Zeit. «Ich lernte damals, meine Gefühle und Bedürfnisse zuzulassen und dafür einzustehen. Das war für mich neu und ich fühlte mich so fürs Leben gestärkt.» Er wollte unbedingt etwas aus sich machen, beruflich und privat.

 

Sich nicht als Opfer betrachten

«Das gute Leben mit Karriere, Familie und einem gewissen Wohlstand war eben nicht nur gut.» Die Risse zeichneten sich allmählich ab, nachdem er vor über 30 Jahren eine Familie und eine Firma gründete, die bis zuletzt gut 30 Mitarbeitende beschäftigte und Lernende ausbildete. Die Arbeit nahm viel Raum ein, doch die finanziellen Aspekte interessierten ihn weit weniger als die fachlichen Herausforderungen. Trotz grossem Einsatz blieb am Schluss nicht viel Geld übrig. Als er 48 Jahr alt war, geriet seine Firma in Schieflage. Andreas Sommerhalder erklärt es so: «Es offenbarte sich eine Beziehungsrealität zu meiner Frau, die mich sehr an meine eigene Familiengeschichte erinnerte und so verstrickt war, dass sie das Geschäft endgültig in die Knie zwang. Der darauffolgende Drogenkonsum war ein kurzsichtiger Lösungsversuch, die emotionale Not zu bewältigen.»

Die Familie distanzierte sich und er verlor seine Arbeit und das Zuhause. Aber er kämpft sich durch, will sich nicht als Opfer sehen und ist motiviert, wieder auf eigenen Beinen zu stehen. «In den Momenten, in denen ich ruhig werde, finde ich Zugang zu meiner Lebendigkeit. Die ist mir ein guter Wegweiser», antwortet er auf die Frage nach seinem inneren Kompass. Die Geduld hat er bislang nicht verloren – ebenso wenig die Widerstandskraft. Diese schaut er sich auch in der Natur ab. Nicht umsonst zählt die dornige Hauhechel zu seinen Lieblingspflanzen.

Hilfsfonds: Unterstützen und vertrauen

Suchterkrankung führt oft auch zu finanziel-ler Not. Wo kann man aber Hilfe finden? Für viele Betroffene kommt eine Unterstützung durch die öffentliche Hand nicht in Frage und dann ist unser Hilfsfonds die einzige Möglich-keit. Den Menschen zu helfen ist auch ein Zeichen des Vertrauens, das wir ihnen ent-gegenbringen und das sie ermutigt.

Sucht Schweiz übernimmt beispielsweise Kosten, die den beruflichen Wiedereinstieg oder eine Fortbildung erleichtern. Auch Beiträge zu Therapiekosten oder zur Begleichung von Mietrückständen sind möglich. Der Hilfsfonds ermöglicht zudem dringend notwendige An-schaffungen für den Alltag oder unterstützt Freizeitaktivitäten für suchtkranke Menschen und Kinder aus suchtbelasteten Familien. Un-ser grosser Dank gilt allen Spenderinnen und Spendern, die diese Hilfe möglich machen.

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